Donnerstag, 22. November 2012

XIII - Ein Sonntag in NY

Im Grunde genommen stellt ein Sonntag in NY keinen großen Unterschied zu einem Mittwoch dar - die Geschäftigkeit der Stadt ist gleich. Die meisten Läden haben auch geöffnet (Wann kommen wir da in Deutschland auch endlich hin?); einige haben stattdessen sogar samstags geschlossen, zumindest die unter jüdischer Leitung.



Da das Wetter nach wie vor eher spätsommerlich als herbstlich war, entschlossen wir uns erneut zu einem "Draußentag". Nach Bummel durch die Stadt bis zur Anlegestelle der East River Ferry ging es mit der Fähre mal wieder nach Williamsburg, diesmal zum Brooklyn Flea Market. Ein echter Flohmarkt, wie er sein sollte - Antiquitäten, Trödel, Kunst(handwerk), teils sogar in großen Zelten, so dass man nicht allzu sehr auf gutes Wetter angewiesen ist. Und neben den günstigen Preisen (und erschreckend vielen Deutschen auf dem Gelände) gibt's von hier aus auch einen tollen Ausblick über den East River nach Manhattan.

Abends waren diesmal getrennte Wege angesagt. Ein Drittel von uns wollte die Tangomöglichkeiten in New York ausloten (offensichtlich mit Erfolg und Freude), wir beiden anderen waren eher auf fröhliche Musik aus denn auf schwermütige und traten den Gang in die 46. Straße ins Swing46 an.

Vorneweg: Aus Deutschland hatte ich schon nach netten Orten zum Swing-Hören, -Tanzen und -Erleben gesucht, war aber in der Suche trotz Google und Facebook nur mäßig erfolgreich gewesen - und das in der Geburtsstadt des Lindy Hop. Aber an der Stelle des Savoy Ballroom findet man heute nur noch eine Gedenkplakette und den Cotton Club gibt es zwar wieder; der neue hat aber außer dem Namen wohl kaum noch Ähnlichkeiten zum Jazzclub der 20er und 30er Jahre.

Hätte ich das Swing46 jedenfalls früher entdeckt, wäre ich vermutlich im Laufe des Aufenthalts hier häufiger dort gewesen. Für Swingfans ein absolut Pflichtbesuch in New York!! Ein sehr nett und athmosphärisch gestalteter Dinerclub mit allerdings gesalzenen Preisen (gegessen hatten wir zum Glück vorher zuhause), dafür aber mit gutem Rotwein, Livemusik an jedem Wochentag und kostenlosem Lindy-Einsteigerkurs zum Reinschnuppern.

Die Band an diesem Abend nannte sich "Swingadelic" und hielt denn auch, was der Name versprach: Wunderbaren Swing im Stil der 30er und 40er Jahre des letzten Jahrhunderts, dargeboten von neun echt guten Musikern. Wollte man einen Kritikpunkt suchen (ohne aktive Suche fand sich keiner!), dann den, dass die Musik insgesamt recht "weiß" klang, also mit wenig individuellem Spielraum (Positivausnahme: Der Posaunist war absolut großartig und klang fast schon eher nach Funk als nach weißer Bigband!). Trotzdem haben die Swingadelics den Spagat zwischen Livekonzert und Tanzmusik wunderbar bewältigt, dafür großen Respekt!

In der ersten Musikpause dann der Tanzunterricht: Eine wilde Mischung von Neueinsteigern, was Lindy Hop angeht, und bereits erfahreneren Tänzern mit verschiedenster Herkunft und unterschiedlichster Art, dazu der beste Tanzlehrer, der mir bisher untergekommen ist. Man mekrt eben dann doch, dass selbst die besten deutschen Tänzer Tanz und Rhythmus erst lernen mussten; dem Lehrer an diesem Abend lag der Rhythmus offenbar einfach im Blut.
(Gruß an die Lehrer und Tänzer in Berlin: Ich will Eure Leistung gar nicht schmälern, aber der Typ in NY war einfach großartig! Leider niemand, der auch mal Workshops woanders anbieten würde; er bezeichnete sich selbst eher als "Performer" und bietet nur ausnahmsweise mal Unterricht an...)

Eine halbe Stunde Unterricht, nach der sich die meisten Teilnehmer auch ohne Vorkenntnisse offensichtlich parkettsicher fühlten, ohne dass irgendjemand einen unterforderten Eindruck gemacht hätte; spätestens danach war die Tanzfläche den Rest des Abends über dauernd gut gefüllt.

Und das Publikum vor Ort? Bunt gemischt - und im Durchschnitt älter, als ich es erwartet hätte. Natürlich gab es ein oder zwei Tanzpaare, deren Hauptaufgabe sie offensichtlich darin sahen, allen anderen Besuchern zu demonstrieren, wie toll sie sind und welche Tanzschritte sie alle beherrschen, ob nun passend zur Musik oder nicht; zum Glück gab es von dieser Sorte aber eben nicht mehr Paare.

Unsere Tanzpartnerinnen im Kurs gehörten zu einer Gruppe, die einen 29. Geburtstag feierten; vom Eindruck her: Werdende Broadwaytänzerinnen, die sich womöglich an der Stage School kennengelernt hatten. Zumindest hätte das zu Selbstbewusstsein, schneller Auffassungsgabe, was einen neuen Tanz betrifft, und allgemeine, Auftreten gepasst - und dazu, dass das Geburtstagskind (Erika) sich selbst ein Geburtstagsständchen mit der Band gesungen hat. Auch dieser Auftritt übrigens richtig gut - von der guten Stimme über das notwendige Selbstbewusstsein bis hin zum passenden Swingoutfit definitiv gelungen.

Mein absolutes Highlight des Abends aber war die Gruppe am Nachbartisch - vier "Mädel" zu Besuch aus Hoboken, New Jersey. Wie sich im Gespräch herausstellte, handelte es sich um eine Mutter mit ihren drei Töchtern; jede der Töchter um die 60 Jahre alt, Mutti geschmeidige 88. Und niemand im ganzen Jazzclub hat an diesem Abend mehr getanzt als die alte Dame, die in ihren Tanzpausen noch dazu sehr erzählselig war. ("You know, my COPD will play up tomorrow after dancing this much. But I'd rather puff a little tomorrow than not have any fun at all!")

Der Spruch des Abends kam dann konsequenterweise auch von der fitten Lindy-Oma, als sie die Tanzfläche zum ersten Mal betrat: "I'm going to dance now - I just hope there's a hospital nearby!"



1 Kommentar:

  1. (Und wo darf man hin, wenn nicht ins Wasser und nicht aufs steinige Ufer?)

    Hier gibt es defintiv zu wenige (ich fürchte, keine) Lindy-Omas! Hier bedeutet Ü80 sein ja automatisch: Wanderlieder, Glotze, Bingo spielen, Kuchen essen, unsichtbar sein. War die Lindy-Oma schwarz oder weiß? Nur so aus Interesse...

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